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Zdirekt! 04-2020

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42 GASTBEITRAG Wohin

42 GASTBEITRAG Wohin entwickelt sich die Zeitarbeits-Branche? Wohl kaum eine andere Frage wird derzeit in der Zeitarbeit – und in den Personaldienstleistungen überhaupt – so intensiv diskutiert. Die Zeitarbeitsunternehmen haben in einer aktuellen Lünendonk-Blitzumfrage angegeben, dass sie für 2020 aufgrund geringer Nachfrage im Durchschnitt mehr als 20 Prozent Umsatz eingebüßt haben. Aber: In der größten Wirtschaftskrise der vergangenen Jahrzehnte ist weiterhin ein wesentlicher Bedarf an flexiblem Personal vorhanden. Die zahlreichen Initiativen, flexible Personallösungen zu verbieten und zu beschränken, geht am Bedarf der Wirtschaft vorbei. Dieses wesentliche Argument bleibt den Interessenvertretern vorbehalten. Für Analysten ist es die Ausgangslage, um eine Einschätzung für die Zukunftsentwicklung der Branche zu formulieren. Thomas Ball Lena Krumm Eines vorweg: Es wird auch in Zukunft die Kernaufgabe der Zeitarbeit bleiben, Unternehmen mit kurzfristigen und flexiblen Personallösungen zu unterstützen. Das Jahr 2020 hat der Digitalisierung einen bedeutenden Schub gegeben. Davon hat insbesondere die Logistik profitiert – sowohl die großen Versandzentren als auch der lokale Einzelhändler, der Spielzeug, Essen oder Einkäufe nicht mehr nur in seinem Geschäft verkauft, sondern auch Kunden nun direkt beliefert. Auch hierbei hat Zeitarbeit unterstützt. Schon heute ist die Logistik mit rund 220.000 Zeitarbeitnehmern (2019) vielleicht das wichtigste Kundensegment. Für 2020 erwartet Lünendonk eine deutliche Zunahme. Aber nicht nur die Logistik als operatives Element von Digitalisierung hat profitiert – viele Menschen sind inzwischen an Video-Konferenzen und Homeoffice gewöhnt. Auch für Bewerber ist es damit akzeptabler geworden, Vorstellungsgespräche von zuhause aus zu führen – eine Entwicklung, die vielen Zeitarbeitsunternehmen entgegenkommt und ihnen hilft, effizienter im Recruiting zu werden.

Z direkt! 04/2020 GASTBEITRAG 43 Das Brennglas der Corona-Zeit hat aber auch verdeutlicht, dass Digitalisierung vor allem ein Instrument ist, um Prozesse zu standardisieren, zu beschleunigen und zu automatisieren. Das gilt vor allem innerhalb der Unternehmen und weniger im B2B. Der Einkauf von externem Personal funktioniert bis dato nur bei wenigen Kunden mit großer Marktbedeutung mit einem gewissen Automatisierungsgrad. Und dort, wo es so ist, wirkt er sich vor allem preis- und margensenkend aus. Für die Zukunft der Branche, die schon heute übliche Umsatzrenditen von nur zwei bis vier Prozent generiert, ist das kaum eine attraktive Perspektive. Die Lünendonk-Analysen bestätigen, dass vor allem Unternehmen mit einer großen Kundenorientierung reüssieren und profitabler sind als der Marktdurchschnitt. Eine langfristige und partnerschaftlichen Beziehung, zuverlässige und entsprechend der Anforderungen qualifizierte Zeitarbeitnehmer und vor allem Fachkräfte sind gefragt und ermöglichen ein auskömmliches Geschäftsmodell. Der langfristige Trend unterstützt diese Beobachtung: Der demographische Wandel ist überall zu spüren. Die Transformation der Automobilindustrie hin zu Elektromobilität und der Chemie- und Pharmaindustrie hin zu CO2-Neutralität erfordern vor allem qualifizierte Fachkräfte und weniger Helfer. Dank der beschäftigungssichernden Maßnahmen wird die gesamtwirtschaftliche Transformation langsamer vorangehen als es etwa die USA mit der hohen Dynamik im Arbeitsmarkt derzeit durchleben. Für Personaldienstleister werden in diesem Zusammenhang andere Geschäftsmodelle wichtiger: Die Aus- und Weiterbildung von gewerblichen Fachkräften kann ebenso zu mehr Flexibilität für die Unternehmen beitragen wie die klassische Zeitarbeit. Verwandte Dienstleistungen wie die Vermittlung von Freelancern und dauerhaftem Personal aber auch Contracting-Modelle, bei denen Personaldienstleister bestimmte Arten von Industrierobotern und Maschinen überlassen und durch Investition und Refinanzierung über die Laufzeit mit Kündigungsmöglichkeiten bei nachlassendem Bedarf das Risiko für ihre Kunden senken, ist ein mögliches und wahrscheinliches Szenario für die Branche. Eine dritte absehbare Entwicklung für die Zeitarbeit und die Personaldienstleistung insgesamt ist das langsame, aber inzwischen sichtbare Aufbrechen von verschiedenen Einkaufsstrukturen für hochqualifizierte und gewerbliche Zeitarbeitnehmende. Den Grundstein dafür hat wesentlich die Reform des AÜG gelegt, die den Werkvertrag als Grundlage für die Überlassung von Freelancern geschwächt hat. Obwohl viele Kunden keine Freelancer mehr auf Werkvertragsbasis beschäftigen, ist nur ein kleiner Teil der Freiberufler bereit, in die Arbeitnehmerüberlassung zu wechseln. Dennoch gibt es diese Entwicklung der stärkeren Überlassung von Experten auf Basis des AÜG. Mittelfristig wird die bisher dominierende Assoziation von Zeitarbeit mit niedrig qualifizierten Tätigkeiten an Bedeutung verlieren, auch wenn es weiterhin eine Marktsegmentierung geben wird. Lünendonk erwartet, dass dies auch zu einer höheren Akzeptanz der AÜ bei Freelancern führt. Zusammenfassend ergibt sich damit ein durchaus positiver Ausblick für die Branche. Sie hat in der Zeit eines schweren Nachfrageeinbruchs und gleichzeitiger geschäftseinschränkender Regulierung hohe Resilienz gezeigt. Zukünftig werden zeitarbeitsnahe Dienstleistungen wie Personalvermittlung, Qualifizierung und Kundenberatung wichtiger werden, denn hier liegen Potenziale für rentable Geschäftsmodelle. Die Digitalisierung wird voranschreiten und zu noch kompetitiveren Preisen führen. Unternehmen, die jedoch nicht nur administrative Prozesse automatisieren, sondern auch Mehrwerte wie die deutliche Verkürzung der Zeit zwischen Anfrage und Tätigkeitsaufnahme generieren, werden einen Wettbewerbsvorteil erlangen. Die Digitalisierung birgt zugleich die Gefahr, mangels Unterscheidungsmerkmalen der Unternehmen den Druck auf die Branche zu erhöhen. Klare Positionierungen und Mehrwerte für Kunden werden durch diesen Prozess für den Gesamtmarkt an Bedeutung gewinnen. Thomas Ball ist als Partner beim Marktforschungsinstitut Lünendonk & Hossenfelder verantwortlich für Zeitarbeit. Neben der jährlich erscheinenden Lünendonk-Liste und -Studie berät er Zeitarbeitsunternehmen bei der Ausrichtung auf zukünftige Kundenanforderungen. Lena Krumm analysiert neben dem Zeitarbeitsmarkt auch den Markt für die Vermittlung von IT-Freelancern.

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