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40 RECHT DIREKT Gesamtschutz – Jetzt ist der EuGH dran Das Bundesarbeitsgericht (Az: 5 AZR 143/19 (A)) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Dezember 2020 einige Fragen zur Auslegung der EU-Zeitarbeitsrichtlinie RL 2008/104/EG vorgelegt. Beim EuGH wird das Verfahren unter dem Aktenzeichen C-311/21 geführt. Wie vor dem EuGH üblich unterstützen Generalanwälte durch beratende Gutachten („Schlussanträge“), in denen dem Gericht ein Vorschlag für die Entscheidung gemacht wird. Der EuGH folgt häufig in seiner Entscheidung den Schlussanträgen, ist an diese aber nicht gebunden. Hintergrund des Vorlageverfahrens ist eine Zahlungsklage. Die Klägerin, Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, wurde von Januar 2016 bis April 2017 aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags als Zeitarbeiternehmerin in einem Einzelhandelsunternehmen als Kommissioniererin eingesetzt. Für ihre Tätigkeit erhielt die Klägerin zuletzt ein Stundenentgelt nach dem iGZ-DGB-Tarifvertrag von 9,23 € brutto. Vergleichbare Stammarbeitnehmer wurden auf Grundlage des Lohntarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer im Einzelhandel zu dieser Zeit mit einem Stundenlohn in Höhe von 13,64 € brutto vergütet. Der Anspruch auf EqualPay hat die Klägerin unter anderem damit begründet, dass das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) die Anforderungen der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/ EG nicht erfülle, insbesondere sei der in der Richtlinie vorgesehene Gesamtschutz im AÜG nicht sichergestellt. Das Bundesarbeitsgericht setzte das Verfahren daraufhin aus und legte dem EuGH einen Katalog von fünf Fragen vor. Es will im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG (im Folgenden auch Zeitarbeitsrichtlinie oder Richtlinie ge-

Z direkt! 03/2022 RECHT DIREKT 41 nannt) vom deutschen Gesetzgeber richtlinienkonform umgesetzt worden sind. Dies betrifft das AÜG in der aktuellen, aber auch in der vor dem 1.4.2017 geltenden Fassung. Dreh- und Angelpunkt der Vorlage des Bundesarbeitsgerichtes ist die Frage, wie „Gesamtschutz“ in Art. 5 Abs. 3 der Zeitarbeitsrichtlinie auszulegen ist. SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTES Die am 14. Juli 2022 veröffentlichten Schlussanträge des Generalanwaltes Anthony Collins lassen aufhorchen. Er bestätigt zunächst, dass Tarifparteien nach Art. 5 Abs 3 der Richtlinie vom Grundsatz der Gleichstellung in Bezug auf das Arbeitsentgelt abweichen können. Dann erklärt er aber in Randziffer 39 seiner Schlussanträge: „Daraus folgt, dass jede in einem Tarifvertrag enthaltene Abweichung vom Grundsatz der Gleichstellung zulasten der wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern durch die Gewährung von Vorteilen […] ausgeglichen werden muss. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Arbeitsentgelt eine derart fundamentale Beschäftigungsbedingung darstellt, dass für jede Abweichung vom Grundsatz der Gleichstellung strengste Anforderungen an ihre Rechtfertigung zu stellen sind.“ Er stützt seine Ansicht im Wesentlichen auf einen Bericht der Sachverständigengruppe über die Umsetzung der Richtlinie 2008/104/EG von August 2011. Die Sachverständigengruppe hat einen „informellen Status“, mit ihr möchte die Kommission „sich […] in keiner Weise in den Umsetzungsprozess auf einzelstaatlicher Ebene einmischen oder in das Auslegungsrecht des Gerichtshofs oder der anderen zuständigen Gerichte eingreifen“. SACHVERSTÄNDIGENBERICHT AUS 2011 Dennoch stützt sich der Generalanwalt bei der grundsätzlichen Auslegung des Begriffes „Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ nahezu ausschließlich auf den Bericht der Sachverständigengruppe. Weitere Quellen für diese Auffassung der Auslegung listet er nicht auf. Dabei nennen die Sachverständigen hinsichtlich der wesentlichen Arbeitsbedingungen nicht den vom Generalanwalt genannten Ausgleich („durch Gewährung von Vorteilen … ausgeglichen werden muss“), sondern schlicht „ausgleichende Schutzelemente“. Nicht möglich ist es, so die Sachverständigen, ausschließlich ein niedrigeres Entgeltniveau festzulegen, zur Kompensation müssen andere Bedingungen enthalten sein, die für die Leiharbeitnehmer günstig sind. Ausdrücklich werden zum Beispiel bessere Schulungsmöglichkeiten zwischen den Überlassungen genannt. Anders als die vom Generalanwalt geforderten Ausgleichsvorteile im Sinne einer wirtschaftlichen Kompensation stellen die Sachverständigen auf den Schutz durch den Ausgleich ab. SYSTEMATIK DER AUSNAHMEBESTIMMUNGEN Die Sachverständigen greifen damit die Systematik der Ausnahmebestimmungen in Artikel 5 der Zeitarbeitsrichtlinie auf. Artikel 5 Abs. 2 sieht als Schutzelemente die Bezahlung in überlassungsfreien Zeiten bei gleichzeitigem Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages vor. Artikel 5 Abs. 4 sieht hingegen die Möglichkeit vor, dass Regelungen in Bezug auf die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern festgelegt werden, die vom Grundsatz der Gleichstellung abweichen können. Damit wird deutlich, dass bereits die Richtlinie Abweichungen vom (Arbeits-)Entgelt erlaubt: Abweichungen nach Art. 5 Abs. 2 sind erlaubt, wenn die Schutzelemente „Bezahlung in Nichteinsatzzeiten“ und „Unbefristeter Arbeitsvertrag“ enthalten sind, Artikel 5 Abs. 4 erlaubt Wartezeiten ohne jeglichen Ausgleich, sofern ein angemessenes Schutzniveau gewährt wird. In dieses System ordnet sich Artikel 5 Abs. 3 der Richtlinie ein, die von der Richtlinie vorgegebene Systematik ist Leitlinie für das, was der Generalanwalt „strengste Anforderungen“ nennt. VORGABEN DES GESETZGEBERS Aber auch der deutsche Gesetzgeber hat den Sozialpartnern für den Abschluss von Tarifverträgen Voraussetzungen mit auf den Weg gegeben. Bei Betrachtung des deutschen Systems fällt auf, dass Regelungsinhalte aus Art. 5 Abs. 2 und Abs. 4 enthalten sind. Nichteinsatzzeiten eines Zeitarbeitnehmers sind nach §11 Abs. 4 Satz 2 AÜG in Verbindung mit § 615 BGB zwingend durch das Zeitarbeitsunternehmen zu vergüten. Auch die Wartezeit aus Art. 5 Abs. 4 findet sich in § 8 Abs. 4 AÜG mit 9 beziehungsweise 15 Monaten bei den Branchentarifzuschlägen. Die Tarifvertragsparteien können weder die Bezahlung von Nichteinsatzzeiten noch die des Gleichstellungsgrundsatzes ab dem 10. beziehungsweise dem 16. Einsatzmonat ausschließen. Das AÜG selbst gibt damit schützende Elemente vor. Das Beispiel der Sachverständigen hinsichtlich der Schulungsmöglichkeiten ist die Kompensation im Vergleich der wesentlichen Arbeitsbedingungen, die eine etwaige Bezahlung in Nichteinsatzzeiten unberücksichtigt lässt. Auch die von Generalanwalt Collins genannten

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