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Zdirekt! 03-2020

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26 BERLIN DIREKT

26 BERLIN DIREKT Fleischermesser statt Skalpell Die Bundesregierung will Missstände in der Fleischwirtschaft beseitigen und setzt hierbei auf einen radikalen Rundumschlag: Werkverträge und Zeitarbeit sollen pauschal untersagt werden. Angemessen wären stattdessen treffsichere Maßnahmen, die gegebene Probleme beseitigen und nicht primär auf symbolische Erfolge zielen. In unerwarteten, bedrohlichen Situationen gibt es die Neigung zu lautstarken, heftigen Reaktionen – und zu Überreaktionen. Das Pauschalverbot der Zeitarbeit in der Fleischindustrie ist ein Beispiel hierfür. Räumliche und technische Begebenheiten haben nach derzeitigem Kenntnisstand zu einem Corona-Ausbruch in einem großen Schlachtbetrieb geführt. Hiergegen musste vorgegangen werden – die Gesundheit der Belegschaft und der Einwohner in der Nähe des Betriebes durfte nicht gefährdet werden. Was hilft? Abstand, Desinfektion, Masken, technische Nachrüstungen (zum Beispiel bei Klimaanlagen) und als Ultima Ratio temporäre Schließungen. Was wird als Reaktion geplant? Ein pauschales Verbot von Werkverträgen und der Zeitarbeit. SÜNDENBOCK ZEITARBEIT Schnell wurde die Corona-Argumentation um den Faktor prekäre Arbeitsbedingungen ergänzt: Arbeitszeit, Lohn, Urlaub und Arbeitsschutz seien indiskutabel. Zur Erinnerung: Wer in Deutschland in der Zeitarbeit tätig Suzana Bernhard ist, profitiert vom Tarifvertrag für die Zeitarbeit (der bereits in der ersten Entgeltstufe über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt) oder unterliegt dem Equal Treatment. Das Arbeitsrecht gilt umfassend und die Kontrollen sind umfangreicher als bei jedem anderen Arbeitgeber. Genau das haben nicht zuletzt politische Entscheidungsträger gewollt und forciert – eine Branche, die notwendige Flexibilität am Arbeitsmarkt bietet und zugleich gemeinsam mit den Gewerkschaften auf sozialpartnerschaftlichem Weg Standards für den Arbeitnehmerschutz entwickelt. Wenn es also Defizite in diesen Bereichen gibt, liegen diese nicht an der Ausgestaltung der Zeitarbeit in Deutschland. Das pauschale Verbot soll zudem etwas unterbinden, über das die Bundesregierung kaum Kenntnis hat: In Antworten auf gleich mehrere parlamentarische Anfragen teilte das Bundesministerium für Arbeit und Sozia-

Z direkt! 03/2020 BERLIN DIREKT 27 les mit, man habe keine Kenntnis darüber, wie hoch der Anteil der Werkvertragsarbeiter und der Zeitarbeitnehmer in der Fleischindustrie sei und wie diese entlohnt würden. Von einem Verbot lässt sich die Regierung durch Unwissenheit jedoch nicht abhalten. Es kristallisierte sich eine Gefechtslage heraus, in der, wie so oft, Sachargumente gegen schnelle Punkte bei der öffentlichen Meinung stehen. WERKVERTRAG VS. ZEITARBEIT Nicht nur der iGZ verdeutlichte in zahlreichen Gesprächen die Unterschiede zwischen Werkverträgen und Zeitarbeit. Der ehemalige Bundesarbeitsrichter Franz-Josef Düwell verfasste gemeinsam mit dem Bonner Professor Gregor Thüsing (die beiden sind sich sonst nicht unbedingt immer einig) einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung mit dem Titel „Leiharbeit ist nötig“. Ein Verbot der Zeitarbeit in der Fleischindustrie würde die verfolgten Ziele nicht erreichen, schreiben die beiden Rechtswissenschaftler, es sei im Gegenteil kontraproduktiv und daher verfassungswidrig. Und die beiden stehen nicht alleine: Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages untersuchte das Vorhaben und kam zu dem Schluss, dass es auch europarechtlich auf wackligen Beinen steht. Im Bundestag konfrontierte der Abgeordnete Carl-Julius Cronenberg die Regierung mit dem Unterschied zwischen Werkverträgen und der Zeitarbeit: „Stellen Sie nicht Werkverträge mit Arbeitnehmerüberlassung auf eine Stufe! Leiharbeiter profitieren vollumfänglich, das wissen Sie, vom betrieblichen Arbeitsschutz“. Hubertus Heil, Bundesarbeitsminister, reagierte auf diesen Einwand lapidar. Bliebe die Zeitarbeit weiterhin erlaubt, würden die Unternehmen lediglich von Werkverträgen in die Zeitarbeit wechseln. Und dann? Dann hätten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die oben beschriebenen, regulären Zeitarbeitsverhältnisse. Ein Verbot zu begründen, würde hierdurch nicht leichter. Der iGZ ist in dem Beratungsverfahren weiter sehr aktiv: Neben dem Bundestag nimmt sich auch der Landtag in Nordrhein-Westfalen der Diskussion an. Am 23. September nahmen der iGZ-Hauptgeschäftsführer, Werner Stolz, und die Leiterin des Fachbereichs Politische Grundsatzfragen, Andrea Resigkeit, dort an einer Anhörung teil, die von den Oppositionsfraktionen SPD und B’90 | Die Grünen beantragt wurde. Diese Gelegenheit und viele weitere wurden und werden genutzt, um die Unterschiede zwischen Werkverträgen und Zeitarbeit zu erläutern und die Position des iGZ vehement vorzutragen. Zu entscheiden hat die Frage am Ende der Gesetzgeber. Es ist zu hoffen, dass hierbei Fakten nicht ignoriert und ausschließlich auf schrille Symbolik gesetzt wird. BT „Das über die Werkverträge hinaus gehende Verbot der Arbeitnehmerüberlassung und der Unternehmenskooperation ist unverhältnismäßig, mit heißer Nadel gestrickt – und gefährdet Arbeitsplätze! Die Bundesregierung nimmt in nie dagewesener Art und Weise einer einzelnen Branche rechtsstaatlich zugesicherte, marktwirtschaftliche Grundprinzipien weg.“ Friedrich-Otto Ripke | Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V. | Pressemitteilung | 29. Juli 2020 „Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung sind wichtige Flexibilisierungsinstrumente der deutschen Wirtschaft. Fehlt die Flexibilisierung, wandert die Fleischwirtschaft ins Ausland und ein Großteil der Arbeitsplätze ist in Gefahr.“ Vehid Alemić | Verband der Ernährungswirtschaft Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt | iGZ-Interview | 21. Juli 2020 „Der Leiharbeitnehmer ist […] per se schutzwürdiger als der „normale“ Arbeitnehmer. Daher hat sich der Gesetzgeber zu einer weitreichenden Regulierung der Zeitarbeitsbranche entschlossen, die es so für das übrige Arbeitsrecht noch nicht einmal im Ansatz gibt.“ Prof. Dr. Frank Bayreuther | Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht | 24. Juni 2020 GEGENÜBERSTELLUNG WERKVERTRAG VS. ZEITARBEIT www.ig-zeitarbeit.de/presse/artikel/ erhebliche-unterschiede-zwischen-zeitarbeitund-werkvertrag

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