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Zdirekt! 03-2018

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Z direkt! Gastbeitrag

Z direkt! Gastbeitrag Gastbeitrag Z direkt! Guido Krüdewagen IHK: „Schock deine Eltern, mach erstmal ‘ne Lehre“ Vorweg: Die IHK Nord Westfalen hat nichts gegen Studierende. Im Gegenteil. Natürlich werden Akademiker gebraucht. Es ist nur einfach so, dass die Unternehmen deutlich mehr betrieblich ausgebildete Fachkräfte als Akademiker benötigen. Das ist jetzt schon so, erst recht aber in Zukunft, wie der IHK-Fachkräftemonitor zeigt. Guido Krüdewagen Danach fehlen aktuell 18.000 Fachkräfte im IHK-Bezirk, der das Münsterland und die Emscher-Lippe-Region umfasst. In den nächsten zwei Jahren wächst das Defizit nach IHK-Berechnungen auf 35.000, bis 2030 sogar auf über 70.000. Das Besondere ist: Über 90 Prozent des Fachkräftebedarfs entfallen auf betrieblich Qualifizierte! Unter den betrieblich Qualifizierten sind es Leiter Öffentlichkeitsarbeit der Industrie- und Handelskammer (IHK) Nord Westfalen wiederum insbesondere die Fachkräfte mit mittlerer Qualifikation, die der Wirtschaft in absehbarer Zeit fehlen werden - vor allem die mit einem Berufsabschluss mit IHK-Prüfung. Während derzeit noch keine allzu große Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage herrscht, wird hier schon bald ein Engpass entstehen, der sich massiv vergrößert (54.000 in 2030). Die Prognosen des IHK-Fachkräftemonitors stehen im deutlichen Kontrast zu den Zahlen, die die Landesstatistik gerade gemeldet hat: Danach lag die Zahl der Studienanfänger in Nordrhein-Westfalen im Studienjahr 2016 mit 124.481 um 66,7 Prozent höher als 2006. Angesichts übervoller Hörsäle und der Rekordzahl unbesetzter Ausbildungsplätze liegt die rhetorische Frage, ob hier seit Jahren am Bedarf der Wirtschaft vorbeiqualifiziert wird, auf der Hand. Die Antwort somit auch, was zum volkswirtschaftlichen Mehrwert einer betrieblichen Ausbildung gegenüber einem Studium führt. Dazu muss man wissen: Das deutsche System der Berufsbildung wird weltweit bewundert, schon weil es als Erklärung dafür gilt, dass Deutschland die mit Abstand niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in der EU hat. Für das britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“ ist es sogar der wesentliche Grund für die wirtschaftliche Stärke Deutschlands. Umso tragischer, dass dieses Erfolgsmodell in seinem Heimatland aufgrund mangelnder Bewerberzahlen zunehmend in Gefahr gerät – und mit ihm die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Zudem erscheint es auch volkswirtschaftlich wenig effizient, wenn ein mit wissenschaftlichem Anspruch ausgebildeter Studienabsolvent nach seinem Bachelor die Tätigkeit eines Bürokaufmanns übernehmen soll und dafür auch noch mehrere Monate eingearbeitet werden muss, bis er den jeweiligen betrieblichen Anforderungen gerecht wird. Hinzu kommt die hohe Zahl von Studienabbrechern, die erst nach der „Warteschleife Hochschule“ doch noch eine betriebliche Ausbildung absolvieren. Nicht ohne Grund erleben wir gerade ein bildungspolitisches Umdenken, für das die IHK Nord Westfalen schon seit vielen Jahren wirbt, zum Beispiel mit der Kampagne „Schock deine Eltern, mach erstmal `ne Lehre“. Jahrzehntelang hat die Politik den Ansturm auf die Hochschulen gefördert, weil die Akademikerquote im internationalen Vergleich als zu niedrig galt. Aber nur, weil unbeachtet blieb, dass das deutsche Berufsbildungssystem international eine Besonderheit ist. Heute ist bildungspolitischer Konsens, dass die akademische und die betriebliche Bildung gleichwertig sind. Die Berufsbildung und die Hochschulbildung „sind die beiden Beine, auf denen die Leistungs- und Innovationsfähigkeit unseres Landes steht“, bestätigte überraschend sogar der Wissenschaftsrat. Er fordert weiter: „Beide Beine müssen kräftig sein und gut koordiniert voranschreiten, um die wirtschaftliche Entwicklung auch in Zukunft erfolgreich tragen zu können.“ Schon seit 2013 ist die Gleichwertigkeit auch amtlich verbrieft und im Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) festgeschrieben. Danach steht ein Abschluss als Fachwirt oder Industriemeister ganz offiziell auf einer Stufe mit dem Bachelor-Abschluss einer Hochschule, ein geprüfter Betriebswirt (IHK) oder IT-Stratege sogar auf Master-Niveau. Bei der Bundesregierung und der NRW-Landesregierung genießt die Stärkung der betrieblichen Ausbildung hohe politische Priorität. Beide wollen die gesellschaftliche Wertschätzung der dualen Ausbildung wieder erhöhen. „Die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung muss in den Köpfen der Menschen ankommen“, lautet die Forderung. Vor allem natürlich in den Köpfen der Schulabgänger, aber auch in den Köpfen der Eltern und der Lehrer, die zumindest an Gymnasien noch viel zu häufig das Studium als „allein-seligmachend“ anpreisen. Womit wir beim persönlichen Mehrwert für betrieblich aus- und weitergebildete Fachkräfte angekommen sind. Auch da hilft der in Sachen wirtschaftlicher Interessenvertretung mehr als unverdächtige Wissenschaftsrat. Er sieht die dringende Notwendigkeit, Jugendliche gezielt zur Wahl eines Ausbildungsweges anzuleiten, der ihren Fähigkeiten und Interessen möglichst optimal entspricht: „Vermieden werden muss, dass sich die Berufs- bzw. Studienwahl auf Vorurteile oder vordergründige Image- und Prestigegesichtspunkte stützt.“ Jeder, der einen Beruf gewählt hat, der ihm Spaß macht, weil er seine Stärken und Fähigkeiten voll einbringen kann, weiß, was der Wissenschaftsrat meint. Was einem das wert ist, muss jeder für sich selbst beantworten – auch im Vergleich zum monetären Wert. Denn bei der Wahl zwischen Studium und betrieblicher Ausbildung spielt natürlich das zu erzielende Gehalt eine ganz wesentliche Rolle. Doch auch dabei sind Hochschulabsolventen schon lange nicht mehr grundsätzlich im Vorteil. Es gibt inzwischen viele Berufe, in denen nicht nach der Art des Abschlusses, sondern nach tatsächlicher Kompetenz und Knappheit bezahlt wird. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft entlohnt inzwischen die Mehrheit der Unternehmen beispielsweise Fortbildungsabsolventen einer kaufmännischen Fachrichtung genauso wie einen Bachelor. Zu guter Letzt der Mehrwert für den Ausbildungsbetrieb: Nicht erst seit der Verschärfung des Fachkräftemangels gilt „selbst ausbilden“ als wirksamstes Mittel, um beste Mitarbeiter zu bekommen und sie an sich zu binden. Sie lernen den Betrieb von der Pike auf kennen und bleiben dem Unternehmen überdurchschnittlich lange treu. Durch Weiterbildung kann der Betrieb sie zu Fach- und Führungskräften weiterentwickeln, die auf die Unternehmensziele genau zugeschnitten sind. In der Regel ist es leichter, die passenden Fachkräfte selbst auszubilden als zukünftig auf passende Akademiker zu hoffen, die man in dem immer stärker werdenden Wettbewerb um die besten Köpfe aber womöglich gar nicht mehr für sich gewinnen kann. Da wundert es auch nicht, dass Unternehmen, die selbst ausbilden, im Schnitt wettbewerbsfähiger sind. Darüber hinaus sichern sie auch noch die Lebensqualität in der Region und verhindern die Abwanderung junger Menschen. 42 43

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