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Zdirekt! 02-2022

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Z direkt! 02/2022 TITELTHEMA 7 Vor ein paar Jahren kannte kaum einer diesen Begriff. In der Corona-Pandemie wurde er zu einem gern genutzten – und oft falsch verstandenen – Zauberwort: New Work. Viele Arbeitgeber werben mit flexiblen Homeoffice-Regelungen, flachen Hierarchien und Duz-Kultur. Natürlich gibt es Benefits wie Obstkorb, Kicker, kostenlosen Kaffee und Tee. Und et voilá – mein Unternehmen ist voll auf New Work. Weit gefehlt. Ein englischer Begriff und dann steht da auch noch neu davor, das muss also neu sein. Dabei ist New Work ein Konzept, das in den Siebziger- und Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts vom österreich-amerikanischen Philosophen Frithjof Bergmann geprägt wurde – als Antwort auf die Automatisierung in den Automobilfabriken der USA. Der geistige Vater des New- Work-Konzepts ist im vergangenen Jahr im Alter von 91 Jahren gestorben, seine Theorien zu New Leadership, Automatisierung und Lohnarbeit leben weiter. Als in den Fabriken von General Motors in Flint in Michigan eine Welle von Entlassungen bevorstand, gründete Bergmann kurzentschlossen zusammen mit Freunden aus Wirtschaft, Politik und Gewerkschaft das erste „Center for New Work“. Der Vorschlag an General Motors: Anstelle wegen der Automatisierung jeden zweiten Arbeiter zu entlassen, sollte GM lieber alle behalten, sie sollten aber nur noch sechs Monate im Jahr arbeiten und in den verbleibenden sechs Monaten ins Zentrum für Neue Arbeit kommen, um herauszufinden, was sie „wirklich, wirklich wollen“. Das Zentrum werde ihnen dabei helfen, damit Geld zu verdienen. Da Lohnarbeit jetzt nicht mehr funktioniere, sei die Zeit für ein neues Konzept gekommen. So beschreibt es Bergmann in seinem Buch „New Work New Culture“. Bei der Lohnarbeit war demnach „die zu erledigende Aufgabe das Ziel“ und der Mensch das „Werkzeug, als Mittel zur Verwirklichung dieses Zwecks“. Bergmann wollte dies umkehren: „Nicht wir sollten der Arbeit dienen, sondern die Arbeit sollte uns dienen. Die Arbeit (…) sollte uns mehr Kraft und Energie verleihen (…), bei unserer Entwicklung unterstützen, lebendigere, vollständigere Menschen zu werden.“ Aus Bergmanns Sicht sollte Arbeit „köstlich und wunderbar“ werden. In einem Interview mit dem t3n-Magazin 2019 sagte Bergmann: „Die Frage ist, was ist es, was ich wirklich, wirklich will? Die meisten Menschen haben keine Ahnung, wie das zu beantworten ist. Viele denken, das Wollen der Menschen sei selbstverständlich, aber ich behaupte das Gegenteil: In meinem Kopf spielt der Gedanke, dass man nicht weiß, was man will, eine große Rolle. Es gibt eine Armut der Begierde. Und jetzt sind wir am Kern der Sache: Mein Konzept geht davon aus, dass die Menschen nicht wissen, was sie wollen. Das ist ein großer Unterschied zu der Annahme, dass das selbstverständlich ist.“ Heute – vierzig Jahre später – soll das Konzept New Work die Antwort auf eine der dringendsten Fragen unserer Zeit geben: Wie verändern Digitalisierung und Globalisierung, aber auch die veränderten Anforderungen und Bedürfnisse der jüngeren Generationen unsere Arbeit? Und wie reagieren wir darauf? Die Antworten auf diese Fragen sind nicht einfach. Bergmanns Vision einer besseren, stärker an den Wünschen und Vorstellungen des Individuums ausgerichteten Arbeitswelt könnte uns aber helfen – mit neuen (alten) Buzz-Wörtern wie agiles Arbeiten, Holokratie, Disruption, Scrum und VUCA (diese werden auf den folgenden Seiten dieser Zdirekt! erklärt). New Work ist zwar nicht wirklich neu, aber für die heutige Arbeitswelt 4.0 immer noch wichtig, mit einer Vielzahl verschiedener Arbeitsmodelle und Organisationsansätzen. Einige – teils als Idee, teils als Umsetzung – beleuchtet diese Zdirekt!-Ausgabe. Bergmann wollte die Mitarbeiter vor allem mehr einbeziehen und ihnen mehr Entscheidungsgewalt geben. Doch will und kann jeder Führung abgeben – auch wenn es nur in Teilen ist? Wie Personaldienstleister und Führungskräfte das Konzept von New Work mit neuem, aktuellem Leben füllen – dafür gibt es keine Patent-Lösung. Denn es gibt keine allgemeingültige Definition in unserer aktuellen Zeit. Sicher ist aber: Ein Obstkorb und trendige Büromöbel allein sind nicht die Lösung. Aber vielleicht ist ja gerade die Unschärfe das, was Frithjof Bergmanns New-Work-Konzept so zeitlos macht: Es ist an jedem von uns, es immer wieder neu mit dem zu füllen, was wir selbst als unabdingbar für gutes Arbeiten und eine gute Arbeitskultur sehen. Oder in Bergmanns Worten: mit dem, was wir wirklich, wirklich wollen. Mit einem neuen Mindset, wie es heute heißt. Und dies dann auch zu leben. SaS

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