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Zdirekt! 02-2022

14 TITELTHEMA

14 TITELTHEMA ganisationen – vielleicht nicht unbedingt in der frühen Industrialisierung – geschaut, dass beide Seiten irgendwie einen „Deal“ hinbekommen. Natürlich ist das nicht immer und überall gut geglückt, aber dieser Prozess findet immer statt. So kamen ja irgendwann auch Gewerkschaften ins Spiel, die über viele Jahrzehnte einen wichtigen Beitrag geleistet haben. Mittlerweile ist aber erkennbar, dass deren Geschäftsmodell seit Jahrzehnten auf dem Rückzug ist, die DGB-Gewerkschaften haben nicht umsonst ihre Mitgliederzahlen seit den Neunzigerjahren halbiert. Und das trotz massiver politischer Schützenhilfe. Da ist doch auch schon eine Botschaft drin, auch wenn die Gewerkschaften und Teile der Politik von Tarifflucht sprechen. Auch hier wieder Bullshit. Arbeitsmärkte verändern sich eben. Immer! Egal, ob wir das New Work oder mittlerweile sogar „New Normal“ nennen. Gute Organisationen sollten stets menschenorientiert agieren, sollten immer die eigenen Beschäftigten im Blick haben und nicht nur die übergeordnete Zielerfüllung, Unternehmenswachstum oder Profitmaximierung. Das ist überhaupt keine neue oder neuere Entwicklung. Aber Unternehmen verlieren mittlerweile deutlich an Bindung, die große Unternehmensmarke oder Arbeitgebermarke – so wie es früher einmal war – ist nicht mehr so mächtig, Unternehmen verlieren an Schwerkraft. Eines zählt auf jeden Fall: Unternehmen und Organisationen, welche ihre Belegschaften, deren Werte, deren Interessen, deren Wünsche besser verstehen, werden in Zukunft deutlich stärker sein als andere. »Wenn ein Begriff wie New Work jetzt […] als Universalheilmittel durch die Unternehmenshallen einer vermeintlich erkrankten Arbeitswelt geistert, dann halte ich das für fragwürdig. Neu ist daran gar nichts!« Müssen sich Unternehmen in Zukunft den Beschäftigten anpassen, um nicht unterzugehen, weil die Akzeptanz verloren geht? Jein. Sorry, dass ich hier beim Antworten rumschwurbeln muss. Aber ich habe oft den Eindruck, wir leben in einer „Entweder-oder-Welt“. Was ich damit meine? Es hat doch etwas Antagonistisches, etwas Gegensätzliches, wenn wir einmal sagen: In der Vergangenheit mussten sich Beschäftigte den Unternehmen anpassen. Und jetzt dreht sich das um und wir sagen stattdessen: Nun müssen die Unternehmen sich den Beschäftigten anpassen. Das halte ich für Bullshit. Schon immer wurde in Or- Ist „Befindlichkeitsmanagement“ das Gebot der Stunde in der Unternehmenswelt? Autsch, da steckst Du aber den Finger direkt in die Wunde. Ich bin kein Fan des Begriffs „Befindlichkeit“, er ist negativ belegt, da es in der Tat nicht wenige Beschäftigte gibt, die ihren eigenen Befindlichkeiten – de facto Eigeninteressen oder gar egoistischen Wünschen und Vorstellungen – folgen und nicht den übergeordneten Interessen und Zielsetzungen ihrer Organisationen. Oder denen ihrer Mitbeschäftigten. Deswegen gibt es auch so viele dysfunktionale Organisationen, weil Befindlichkeiten wie Sand im Getriebe wirken. Die kleine böse Schwester von Befindlichkeiten ist übrigens die Besitzstandswahrung, mindestens genauso schlimm. Fakt ist jedoch: Wir alle oder zumindest sehr viele Menschen haben „Befindlichkeiten“. Im Grunde sind das bewusste oder unbewusste Wünsche, Hoffnungen, Erwartungen.

Z direkt! 02/2022 TITELTHEMA 15 Die gab es schon immer, nur mit einem kleinen, aber feinen Unterschied. Wir hatten historisch bis in die jüngste Zeit hinein einen Arbeitgebermarkt, damit spielten die Erwartungen der Beschäftigten eher eine untergeordnete Rolle. Das hat sich nun gedreht, wir haben jetzt in der Tendenz einen Arbeitnehmermarkt, damit kommen hohe Erwartungen und sicherlich auch Befindlichkeiten stärker an die Organisationsoberfläche. Die Erkenntnis könnte lauten: Unternehmen und Führungskräfte müssen damit umgehen. Erwartungen und Befindlichkeiten, die nicht gemanagt werden, führen zu Enttäuschungen, Frustrationen, Widerständen und Konflikten. New Work liefert jedoch überhaupt keine Antwort darauf, sondern nur gute Führungsarbeit und gesunde Organisationskulturen. Darüber sollten wir intensiver sprechen! Agile Arbeitsformen und Hierarchieabbau – alternativlose Trends oder Effizienzhemmer? Weder noch. Hierauf antworte ich mal so, wie es normalerweise Juristen tun: Es kommt darauf an! – schmunzelt dabei – Warum? Na ja, agile Arbeitsformen gibt es schon sehr lange. Bei den Recherchen zu meinem Buch bin ich weit ins vergangene Jahrhundert zurückgegangen. Die Anfänge der Agilität finden sich bereits in den Vierzigerjahren, vor allem im militärischen Bereich bei den Amerikanern (Stichwort Informationsstrategiekonzept OODA-Loop) und etwas später im japanischen Automobilumfeld (Stichwort Lean-Management). Agilität ist quasi alter Wein in neuen Schläuchen und mittlerweile eben eine Selbstverständlichkeit im modernen Methodenbaukasten. Der Abbau von Hierarchien und damit der Trend zu mehr selbststeuernden, selbstführenden Teams ist aktuell natürlich in aller Munde, aus meiner Sicht aber wiederum auch nichts Neues. Spielarten von hierarchiefreien Strukturen gibt es bereits historisch in ganz vielen Organisationen, werden nur manchmal nicht so deutlich benannt. Beispiele aus der Unternehmenswelt zeigen jedoch, dass es kein triviales Thema ist, denn viele Organisationen sind kulturell gar nicht dafür vorbereitet oder geeignet. Zudem wird unterschätzt, dass dafür nicht selten komplexe Regelwerke aufgesetzt werden müssen. Was sind die Leitprinzipien von „guter Führung“ unter „New Work“? Was bedeutet das Akronym „FKK“ in Deinem Buch in diesem Kontext? Führung geht nicht weg. Es braucht sogar mehr Führung, eine andere Form von Führung in dieser komplexen, schnelldrehenden Welt. Führungskräfte sollten Lotsen, Leuchttürme, Befähiger, Möglichmacher sein. Dafür müssen sie sich gewiss noch mehr mit ihrer Selbstführung beschäftigen. Und mit dem eigenen Mindset, ich nenne das die eigene „innere Linie“. Nur oberflächliches Methodenwissen reicht nicht mehr, es geht um menschenorientierte Führung, denn der Mensch steht im Mittelpunkt. Das bedeutet nicht, dass es keine Erwartungen oder Leistungsanforderungen an die Beschäftigten gibt. FKK – das ist meine Kurzform für das, was in Organisationen wirklich zählt: Führung, Kommunikation und Kultur. Alte Klassiker könnte man sagen, ohne deren richtige Anwendung und Gestaltung Organisationen regelrecht „nackt“ stehen. Daher habe ich das Akronym gewählt. Gute Führung ist weiterhin gefragt! Kommunikation ist leider nach wie vor unterschätzt und daher der Schlüssel zu ganz Vielem, was nicht gut läuft, das ist das Bindemittel von Menschen und damit immer von Unternehmen. Viele Organisationen kranken an schlechter Kommunikation auf allen Ebenen. Und Kultur ist die Seele einer Organisation und wie Peter Drucker, der Erfinder des modernen Managements, einmal gesagt hat: „Kultur frisst Strategie zum Frühstück.“ Und ich glaube, es frisst noch wie viel mehr: Struktur, Projekte, Programme und alles Mögliche. Wenn wir uns in Organisationen darauf konzentrieren, diese drei Faktoren – Führung, Kommunikation, Kultur – strukturell zu stärken und zu verbessern, dann brauchen wir uns wegen New Work aus meiner Sicht, keine Sorgen zu machen. CARLOS FRISCHMUTH beschäftigt sich als Praktiker seit über 20 Jahren mit der Arbeitswelt und kennt die unterschiedlichsten Facetten des Arbeitsmarktes. Als Managing Director im internationalen Personaldienstleistungskonzern Hays verantwortet er die Bereiche Public Services, Legal und Healthcare und leitet zudem die strategischen Unternehmensbereiche Compliant Sourcing und Public Affairs.

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