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Zdirekt! 03-2020

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20 TITELTHEMA

20 TITELTHEMA Nachhaltigkeit in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Deutschland hat die EU-Ratspräsidentschaft unter nachhaltige Vorzeichen gestellt. Die Coronakrise hat die Prioritäten gezwungenermaßen verschoben. Lassen sich wirtschaftliche Rettungsmaßnahmen, ökonomischer Wiederaufbau und Nachhaltigkeit vereinen? Was bedeutet der Versuch für die deutsche Wirtschaft? Zdirekt! sprach dazu mit Arne Franke, dem Leiter des Brüsseler Büros der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Arne Franke Die Bundesregierung hat erklärt, die deutsche Ratspräsidentschaft werde Impulse für ein nachhaltiges Europa setzen. Was könnte unter Nachhaltigkeit in diesem Zusammenhang verstanden werden? Mich freut, dass das Thema Nachhaltigkeit unter deutscher Ratspräsidentschaft so viele Dimensionen hat – im offiziellen Präsidentschaftsprogramm findet sich der Begriff über 50 Mal. Es werden natürlich die „Green Deal“-Vorschläge der Kommission behandelt, die auf eine Klima-Neutralität bis zum Jahr 2050 zielen. Aber genauso wichtig sind der Bundesregierung andere Themen: begonnen mit einer nachhaltigen Eindämmung der Covid-19-Pandemie über eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung bis zu einem nachhaltigen Wachstum der Wirtschaft. Welche Punkte sind Ihnen aus Sicht der Wirtschaft besonders wichtig? Die Lektüre des Programms zur Ratspräsidentschaft macht wichtige Elemente des Schlagwortes äußerst deutlich: zum Beispiel die nachhaltige Weiterentwicklung des Binnenmarktes – der ja bei Ausbruch der Pandemie einem besonderen Stresstest ausgesetzt war. Oder eine nachhaltige Finanzpolitik, in der der Stabilitäts- und Wachstumspakt eine wichtige Rolle spielen soll. Damit verknüpft ist eine starke Sozial- und Beschäftigungspolitik, die Arbeitsplätze im Fokus hat. Das zeigt: Nachhaltigkeit ist in vielen Politikfeldern sinnvoll – und kein alleiniger Begriff der Umweltpolitik. Politische Nachhaltigkeit bedeutet nichts weniger als Notwendigkeiten der Zukunft schon heute zu verstehen und dem vorrausschauend im Gesetzgebungsprozess Rechnung zu tragen. Es hilft, Kindern und Enkeln funktionierende Wirtschafts-, Sozial- und Ökosysteme zu hinterlassen. Welche Rolle kommt speziell Europa zu, wenn es um mehr Nachhaltigkeit geht? Was hat die EU in der Hand? Funktionierende Nachhaltigkeit hat erstens mit Innovationen und zweitens auch mit festen Prinzipien zu tun. Nachhaltigkeit im ökologischen Sinne ist nicht ohne technologischen Fortschritt zu erzielen. Neue Ideen, die den Energieverbrauch oder Kohlendioxid-Emissionen senken können, realisieren sich nicht von selbst. Wir müssen also Nachhaltigkeitsstrategien und Wettbewerbsfähigkeit zusammen denken. Im Bereich der Klimapolitik sind riesige – am besten technologieoffene – Investitionen notwendig, die ohne wettbewerbsfähige Unternehmen unmöglich wären. Europa muss folglich zum wettbewerbsfähigsten Kontinent der Welt

Z direkt! 03/2020 TITELTHEMA 21 werden, um auch die Vorhut in Sachen Nachhaltigkeit übernehmen zu können. Wir brauchen ein Europa, das etwa in Sachen Digitalisierung anführt, zukunftsfeste Bildungspolitik in den Mitgliedstaaten fördert und die Sozialpartner europaweit stärkt. Was meinen Sie mit festen Prinzipien? Feste Prinzipien braucht es in vielen anderen Aspekten der Nachhaltigkeit: Immer mehr Schulden etwa widersprächen der Generationengerechtigkeit. Eine nachhaltige Sozial- und Beschäftigungspolitik wiederum gelingt nur, wenn nationale Traditionen und Wege berücksichtigt und nicht alles über einen EU-Kamm geschoren wird. Die EU kennt die Komplexität unterschiedlicher Bedürfnisse der Mitgliedstaaten, um gemeinsame Herausforderungen zu meistern und Chancen zu nutzen. Wie kann Deutschland die Ratspräsidentschaft nutzen, um bezüglich der Nachhaltigkeit Fortschritte in der EU zu erreichen? Die Erwartungen an die deutsche Ratspräsidentschaft sind äußerst hoch. Während der Covid-19-Pandemie werden viele Weichenstellungen vorgenommen, die den politischen Kurs der Union auf Jahre bestimmen werden. Ein Neustart nach Covid-19 verlangt eine langfristige Vision für die EU: Deutschland kann die Zukunft der EU daher sehr positiv beeinflussen. Die deutsche Bundesregierung steht nicht nur besonders im Fokus, sondern genießt nach meinem Eindruck auch ein großes Vertrauen unter den europäischen Partnern. Es braucht viele Kompromisse, aber am Ende müssen zwingend Lösungen stehen, die Staaten und Wirtschaft resilienter machen. Die Corona-Pandemie hat die Welt und auch die EU auf den Kopf gestellt. Es wurde schnell beteuert, die Nachhaltigkeitsziele würden unter den dringlich gewordenen Prioritäten des wirtschaftlichen Wiederaufbaus nicht leiden. Wie bewerten Sie den Beschluss der EU-Staats- und Regierungschefs über den Wiederaufbauplan und das EU-Budget? Das Spannungsfeld sehe ich tatsächlich nur teilweise. Die Elemente des „Green Deal“ und des digitalen Wandels spielen eine Hauptrolle in den Beschlüssen des Europäischen Rates, wenn es um den Wiederaufbau geht. Die anderen Facetten der Nachhaltigkeit finden sich nicht so explizit – hier sollten die Mitgliedstaaten ein Auge darauf haben, dass die Gelder des Wiederaufbauplans und des EU-Haushaltes verantwortungsvoll eingesetzt werden, um die immensen europäischen Kredite und Zuschüsse auch wieder erwirtschaften zu können. Übrigens konnte auch Deutschland Beschäftigung und Wirtschaft nur deshalb so schnell und stark unterstützen, weil in den öffentlichen Haushalten nachhaltig gewirtschaftet und somit Spielraum geschaffen wurde. Auch ein Unternehmen mit ausreichenden Rücklagen kann möglicherweise eine schmerzhafte Durststrecke ohne Unterstützung von außen überbrücken. Das gilt natürlich genauso für die Sozialkassen: Das Kurzarbeitergeld konnte aus einer Rücklage von 25 Milliarden Euro bei der Bundesagentur für Arbeit abgerufen werden, das alle Beitragszahler über viele Jahre angespart hatten. Diese drei Beispiele der erfolgreichen Vorausschau gehören zum politischen Credo des wirtschaftlichen Wiederaufbaus dazu. AR Arne Franke ist seit 2011 für die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände tätig – zunächst als Pressesprecher, seit 2017 vertritt er als Leiter des Brüsseler BDA-Büros die Interessen der deutschen Arbeitgeber gegenüber der EU. Zuvor arbeitete er als Referent im Büro des Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich in der Sächsischen Staatskanzlei.

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