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Zdirekt! 03-2017

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Z direkt! Gastbeitrag

Z direkt! Gastbeitrag Gastbeitrag Z direkt! Thomas Sattelberger Braucht die neue Arbeitswelt mehr Flexibilität? 11. September 2001. In New York schlagen zwei Flugzeuge in die Twin Towers ein. Als Operations-Vorstand bei Lufthansa Passage war ich damals verantwortlich für rund 20.000 Mitarbeiter am Boden und in der Luft. Unsere Nachfrage brach schlagartig ein, um fast ein Drittel. In dieser größten Krise der Luftfahrt seit dem Zweiten Weltkrieg verlor die Branche mehr, als sie in den 20 Jahren davor an Gewinnen eingeflogen hatte. Wir mussten handeln, und zwar rasch. Und es ist uns gelungen, diese schwere Krise zu überstehen – vor allem dank Zeitarbeit, Saisonarbeit, befristeter Beschäftigung sowie rund 140 Teilzeitmodellen. Wir haben uns damals den gesamten Handwerkskasten der Kapazitätsanpassung und der Flexibilisierungsinstrumente vorgenommen: Zusätzlich zum Abbau von Zeitarbeit Einstellungsstopp, Zwangsurlaub, massivem Abbau von Überstunden, um kurzarbeitsfähig zu werden. Hunderte von Mitarbeitern wandelten ihre Vollzeitstellen in Teilzeitstellen um. Wer ein mehrjähriges Sabbatical einlegen wollte, erhielt eine Rückkehrgarantie. Das Cockpitpersonal verzichtete für ein Jahr auf eine bereits fest vereinbarte Vergütungserhöhung. Der Lufthansa-Vorstand kappte seine Fixvergütung um zehn Prozent, den variablen Teil hatte eh schon die Krise gefressen. Führungskräfte und außertarifliche Mitarbeiter erklärten sich bereit, ihre Festbezüge um sieben bis zehn Prozent zu reduzieren. Durch all dies konnten wir unsere Personalkosten zeitlich befristet um rund 30 Prozent senken und die Personalkapazitäten weitgehend an die Kundennachfrage anpassen. Warum schreibe ich das so ausführlich? Es ist uns gelungen, ohne Massenentlassungen durch die Krise zu kommen. Und zwar mit einem arbeitsrechtlich angemessenen Instrumentarium. Atmende Strukturen – sowohl flexible Arbeitsorganisation als auch flexible Beschäftigungsformen der Mitarbeiter: Sie sind das Rückgrat krisenrobuster, agiler und wetterfester Unternehmen. Atmende Organisationen passen sich nach oben wie nach unten auch sich deutlich verändernden Marktbedingungen an. Sie können – wenn vorher die passenden Strukturbedingungen geschaffen wurden – idealerweise einen massiven kurzfristigen Einbruch, aber auch ein Nachfragewachstum von je bis zu 30 Prozent verkraften. So habe ich Personalpolitik in schweren Zeiten gestaltet. Auch als Personalvorstand beim Automobilzulieferer Continental musste ich mir hinsichtlich Fabrikauslastung, Produktivität, Arbeitszeitverteilung und Flexibilität einiges einfallen lassen. Das Prinzip der „atmenden Fabrik“ war für uns damals ein Schlüsselthema, entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte in Deutschland, aber auch weltweit. Zeitarbeit, Arbeitszeitkonten, Überstundenmanagement, Krankenstand, Outsourcing, Modularisierung der Produktion, Werkverträge – sämtliche Zahnräder einer flexiblen Produktion mussten ineinandergreifen. In Osteuropa betrugen die Stundenlöhne seinerzeit nur ein Zehntel dessen, was in Deutschland gezahlt wurde. Wären wir damals nicht so flexibel gewesen, stünde heute kein Reifenwerk mehr auf deutschem Boden. Die bisherige Bundesregierung hat uns einen Teil dieser Flexibilität genommen: Rente mit 63, Regulierung von Zeitarbeit, Scheinselbstständigkeit, Mindestlohn. Das gesamte beschäftigungsstrukturelle Atmungspotenzial deutscher Unternehmen, das in der Weltwirtschaftskrise 2007/´08 zur Krisenbewältigung beitrug, hat der Bund seit 2013 nach Kräften immer weiter eingeschnürt. Der Standort Deutschland gerät zunehmend in eine ganz schwierige Sandwichposition zwischen hohen Arbeitskosten und Unbeweglichkeit. Thomas Sattelberger, ZukunftsAllianz Arbeit & Gesellschaft Vor diesem Hintergrund hat die bisherige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles die Zeitarbeit auf 18 Monate zeitlich beschränkt und Equal Pay nach neun Monaten eingeführt. Sie will einen gesetzlichen Anspruch auf Rückkehr von der Teilzeit in die Vollzeit einführen. Und sie hat Werkverträge so reguliert, dass das Projektgeschäft deutlich erschwert wird. Dass die geplante Arbeitsstättenverordnung die mobile Arbeit fast verunmöglicht hätte, ist ein Treppenwitz. Ebenso hat die SPD übersehen, dass Zeitarbeit für Arbeitnehmer mit geringer Qualifikation, auch und gerade mit Migrationshintergrund, oft die einzige Brücke in den Arbeitsmarkt ist. Für die deutsche Wirtschaft herrscht nicht permanent eitel Sonnenschein. Es wird auch wieder Täler und Tiefen geben. Wie soll ein Unternehmen dann anders reagieren als durch Sozialpläne und Entlassungen, wenn ihm für alle anderen Wege die Hände gebunden sind? Ideologisch-populistisch abgesichert werden diese Regulierungen durch den Begriff des „Normalarbeitsverhältnisses“. Das soll suggerieren, dass autonomere und flexiblere Beschäftigungsformen atypisch und anormal sind. Dabei ist klar: Wer kein Kreativ- und Wissensarbeiter ist, sondern zum Beispiel in der Produktion oder auf der Baustelle tätig, der (oder die) kann kein Home Office machen und nicht von unterwegs arbeiten. Ich will Fabrikarbeitern weder Schutzrechte nehmen noch ihre Wochenarbeitszeit ausweiten. Wenn uns unsere Zukunft lieb ist, dürfen wir aber nicht so tun, als arbeiteten alle gleichermaßen am selben Fließband. Es gibt verschiedene Aufgaben und Rollen im Berufsleben, und dafür brauchen wir jeweils unterschiedliche Regulierungen und vor allem Deregulierungen. Bei Continental gab es Forschungs- und Entwicklungszentren, in denen die Entwickler die Freiheit hatten, mittags zu segeln und nach dem Abendessen von zuhause aus zu arbeiten. Kreativität findet nicht im Zeitkorsett der „Normalarbeit“ statt. Und wir brauchen kreative Mitarbeiter wie die Luft zum Atmen. Vor allem die mittelständischen Unternehmen jenseits der Metropolen. Auf dem Land stehen die Firmen zunehmend vor dem Problem, dass sie sich angesichts der Digitalisierung in Teilen neu erfinden müssen, um am Markt zu bestehen. Dafür brauchen sie exzellente Informatiker, Software-Entwickler, Techies, Nerds. Aber solche Menschen ziehen nicht anreizlos aufs Land. Sie wollen weder Festanstellung noch dauerhafte Bindung, sondern Unabhängigkeit und Freiraum. Eine Option für sie ist etwa Projektarbeit, zeitlich nicht begrenzt und in einer Mischung von mobiler und ortsgebundener Arbeit. Genau solche Möglichkeiten killt eine Bundesregierung, wenn sie Zeitarbeit massiv einschränkt. Am liebsten wäre es einigen Funktionären, wenn ab 17 Uhr und am Wochenende die Server von Unternehmen abgeschaltet würden. Verdi-Chef Frank Bsirske fordert die Ausweitung der Mitbestimmung auch auf Solo-Selbstständige und Clickworker. Nahles wollte vor der Bundestagswahl die alte Stechuhr in digitaler Version wieder einführen. Einfälle gelingen aber nicht mit Blick auf die Stechuhr. Wir müssen weg von der Präsenzkultur hin zur Ergebniskultur. Statt der neuen digitalen Arbeitswelt Fesseln anzulegen, bevor wir überhaupt wissen, ob und wo die Auswüchse entstehen, sollten wir ihr Zeit und Freiheit geben, um sich erst einmal zu entwickeln. Auswüchse werden hier und da entstehen. Und dann werden wir sie beseitigen. Aber wenn wir alles im Vorhinein regulieren, ersticken wir damit leider auch sämtliche Chancen bereits im Keim. 38 39

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