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Zdirekt! 02-2020

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18 TITELTHEMA

18 TITELTHEMA Fleischindustrie: Die Falschen werden bestraft Nach vermehrten Corona-Infektionen in Schlachthöfen hat das Bundeskabinett am 20. Mai „Eckpunkte eines Arbeitsschutzprogramms“ beschlossen. In Teilen der Fleischbranche kommt es seit Jahren immer wieder bei den Arbeits- und Unterkunftsbedingungen zu Missständen. Diese seien unwürdig und müssten schnell und gründlich behoben werden, begründete Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die Initiative der Bundesregierung, die noch das Gesetzgebungsverfahren im Bundestag und Bundesrat durchlaufen muss. Künftig sollen Zoll und Arbeitsschutzbehörden sowie kommunale Ordnungs- und Gesundheitsämter zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Arbeits-, Infektions- und Gesundheitsschutzstandards eingehalten werden. Ab 2021 sollen das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch nach den Plänen der Bundesregierung nur noch durch Beschäftigte des eigenen Betriebes zulässig sein. Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung wären damit nicht mehr möglich. Handwerksbetriebe sollen von dieser Regelung ausgenommen sein. Der Bußgeldrahmen bei Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz soll auf 30.000 Euro verdoppelt werden. Die Bundesregierung prüft zudem, wie die Unternehmen verpflichtet werden können, Mindeststandards bei der Unterbringung sicherzustellen. AKTIONISMUS GEGEN PERSONALDIENSTLEISTER Sucht man nach Fakten und plausiblen politischen Rechtfertigungen für ein Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischwirtschaft, so findet man erstaunlicherweise so gut wie keine Begründungen. Schilderungen der angeblichen Missstände, welche es zu bekämpfen gelte, beziehen sich stets auf (Schein-) Werkverträge und dubiose Praktiken insbesondere von (ausländischen) Subunternehmen, aber nicht auf eingesetzte Zeitarbeitskräfte in den Schlachtbetrieben. Dabei sind bekanntlich die juristischen Unterschiede zwischen Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung beträchtlich.

Z direkt! 02/2020 TITELTHEMA 19 ZEITARBEIT ≠ WERKVERTRÄGE Zeitarbeitsunternehmen stellen ihre Mitarbeiter einem Dritten (Entleiher) „vorübergehend” zur Verfügung, damit diese dort ihre Arbeitsleistung erbringen. Im Rahmen eines Werkvertrags verpflichtet sich der Unternehmer gegenüber dem Dritten (Besteller), meist unter Zuhilfenahme von Personal, einen bestimmten Erfolg herbeizuführen. Werkverträge fallen nicht unter das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, eine Überlassungserlaubnis ist nicht notwendig. Der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit” gilt nicht, da die Arbeit nach dem Ergebnis und nicht nach dem Aufwand der geleisteten Arbeit beurteilt wird. Auch die für die Zeitarbeit eingeführte allgemeinverbindliche Lohnunterschranke, die über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt (aktuell 10,15 Euro), findet auf Werkvertragler keine Anwendung. Somit wurde der Einsatz von Fremdpersonal im Rahmen von Werkverträgen für die Schlachthofbetreiber zunehmend attraktiver. Das Auslagern von Aufgaben erwies sich als ein probates Modell zur Personalkostensenkung. Insoweit überrascht es wenig, wenn nach Schätzungen des „Sozialpolitischen Ausschusses der Fleischwirtschaft“ bei den Fremdpersonaleinsätzen ganz überwiegend Arbeitnehmer im Werkvertrag und nur ein geringer Bruchteil als Zeitarbeitnehmer beschäftigt sind. NGG: ZEITARBEIT IST NICHT DAS PROBLEM Selbst die für diesen Wirtschaftsbereich zuständige Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) fordert deshalb auch kein Verbot der Zeitarbeit, sondern setzt sich nur kritisch mit der Werkvertragsbeschäftigung auseinander, da die kaum reglementiert sei, lückenhaft kontrolliert werde und freiwillige Selbstverpflichtungen nichts gebracht hätten. „Die NGG Saar fordert die Verantwortlichen in Politik und Kontrollbehörden auf, die Begrifflichkeiten Leiharbeit und Werkverträge "strikt und sauber" zu trennen“, sagte Geschäftsführers Mark Baumeister. "Leiharbeit ist nicht das Problem in der Fleischindustrie. Denn hier unterliegen die Leiharbeitnehmer klar der Mitbestimmung durch Betriebsräte und dem Auftraggeber und sind voll in die jeweilige Betriebsorganisation eingebunden." SOZIAL ABGESICHERT UND TARIFLICH GEREGELT Da das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) stets verkündet, dass Arbeitnehmerüberlassung ein ganz wichtiges und unverzichtbares Flexibilitätsinstrument in einer arbeitsteiligen Wirtschaft ist, dann muss es schon ganz gewichtige Gründe für das nunmehr geplante sektorale Verbot geben. Bisher wurden diese gewichtigen Gründe aber nicht benannt und es liegen auch keine seriösen empirischen Untersuchungen angeblicher Fehlentwicklungen vor. Tatsächlich gibt es bislang auch keine echten Zeitarbeits-„Skandale“, die eine gesetzliche Verbotsregelung rechtfertigen könnten. Die bekannten Missstände betrafen andere Regelungsbereiche und Arbeitsformen (Hygiene, Arbeitsschutz, Unterbringung, Mindestlohn usw.). Das gesetzliche Schutzsystem des Arbeitnehmerüberlassungsge setzes und das flächendeckende Tarifsystem der Zeitarbeitsbranche mit den DGB-Gewerkschaften sind nicht lückenhaft. Bei auftretenden Regelverletzungen kommt es gegebenenfalls maximal zu Rechtsdurchsetzungsproblemen durch die Kontrollbehörden. Seit der Entscheidung des Bundessverfassungsgerichtes vom 6. Oktober 1987 zum sektoralen Einsatzverbot der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung im Bauhauptgewerbe haben sich auch die europäischen bzw. nationalen rechtlichen sowie tariflichen Rahmenbedingungen der Arbeitnehmerüberlassung entscheidend geändert, sodass die verfassungsrechtlichen Hürden heute wesentlich höher sind. Jedenfalls ist kein Argument ersichtlich, dass ein Einsatzverbot der Zeitarbeit in der deutschen Fleischindustrie erforderlich, geeignet und verhältnismäßig sein soll, um den Grundrechtseingriff in Art. 12 (Berufsausübung), Art. 3 (Gleichheitsschutz) und Art. 2 GG (Unternehmensfreiheit) zu legitimieren. ARBEITNEHMERENTSENDEGESETZ Um den seit Jahren herrschenden „Wildwuchs“ in der Fleischbranche bei Löhnen und Arbeitsbedingungen besser Einhalt zu gebieten, wurde die Branche schon vor einigen Jahren ins Entsendegesetz aufgenommen. Dies sollte in der anstehenden Novellierung durch die notwendige EU-Anpassung im Hinblick auf Mindestlöhne, Arbeitsschutz und Unterkunftsbedingungen nachjustiert werden. Diese Regelungen würden dann in der Folge für alle Werkvertrags- und Zeitarbeitskräfte gleichermaßen gelten. EINSATZ GEGEN ZEITARBEITSVERBOT Angesichts der beschriebenen klaren Fakten- und Rechtslage sollte der Gesetzgeber deshalb nur an den Stellschrauben in der Fleischindustrie drehen, die eine nachhaltige, effektive Lösung der Missstände versprechen. Ein Einsatzverbot der Zeitarbeit gehört jedenfalls nicht dazu. Der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen wird im anstehenden parlamentarischen Beratungsverfahren die notwendige Überzeugungsarbeit leisten, damit nicht die Falschen per Gesetz bestraft werden. WS

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