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Ausgabe 2/2006:

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| 8 Wirtschaftspolitik

| 8 Wirtschaftspolitik WO BLEIBT DER MENSCH IM WIRTSCHAFTSSYSTEM? Heiner Geißler sprach auf dem iGZ-Bundeskongress Kritische Töne – dafür ist Heiner Geißler bekannt. In seiner Rede vor dem iGZ-Bundeskongress in Münster zeichnete der Ex-Bundesminister und ehemalige Generalsekretär der CDU ein klares und in Teilen ernüchterndes Bild von der aktuellen Wirtschaftsordnung. Neue Wege forderte der Christdemokrat vor den rund 250 Zeitarbeitsunternehmern von der Großen Koalition. „Bei der Bundestagswahl wurden die beiden großen Volksparteien regelrecht abgestraft. Das deutsche Volk hat in dieser Abstimmung den neoliberalen Kurs beider Parteien abgelehnt, sowohl die Agenda 2010 der SPD, als auch den marktradikalen Kurs der CDU“, analysierte Geißler gleich zu Beginn seiner Rede. „Mit der großen Koalition sind große Hoffnungen verbunden.“ ZUKUNFTSANGST UND PERSPEKTIV- LOSIGKEIT Er hofft, dass die Parteien hieraus ihre Lehren gezogen haben, denn die Stimmung in der Bevölkerung dürfe in dieser Situation nicht unterschätzt werden: „Ich denke, es handelt sich um die nüchterne Einschätzung der Mehrheit der deutschen Bevölkerung, die einmündet in Zukunftsangst und Perspektivlosigkeit, angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen, sinkenden Löhnen und immer mehr Armut in Deutschland.“ Geißler kritisiert in diesem Zusammenhang das Streben nach immer größeren Zusammenschlüssen von Unternehmen und den Beteiligungen von Investitionsgesellschaften, deren oberstes Ziel oftmals eine hohe Verzinsung ihrer Investitionssummen sei und nicht das Wohl eines funktionierenden und Gewinne erwirtschaftenden Unternehmens. VERANTWORTUNG STATT MEGANOMANIE Diese „Meganomanie“, stellte der Politiker anhand von verschiedenen Beispielen dar, führe dann zum Schließen von Produktionsstätten in Deutschland und der Entlassung vieler Menschen: „Dann landen sie, nach eineinhalb Jahren spätestens – mit Hilfe der CDU und der SPD – kraft Hartz IV, auch wenn sie 30 Jahre lang gearbeitet, Beiträge, Steuern bezahlt und Kinder großgezogen haben, auf der untersten Sprosse der Sozialleiter. Sie bekommen ALG II als ob sie nie in ihrem Leben einen Hammer in die Hand genommen hätten, sie werden 22jährigen Alkoholikern gleichgesetzt und dann bekommen sie ihre 345 Euro erst dann, wenn sie vorerst fast alles andere versilbert haben, was sie für sich und ihre Familien erarbeitet haben. Deutsche Krankheit – das kann schon sein, aber nicht die deutsche Krankheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern die deutsche Krankheit einer absolut falschen Politik.“ „Wenn ich meinen Hund liebe, muss ich nicht auch seine Flöhe lieben.“ SIEGESMELDUNGEN UND HIOBS- BOTSCHAFTEN Dieses Wirtschaftssystem führe zu Hiobsbotschaften auf dem Arbeitsmarkt und Siegesmeldungen an der Börse, so Geißler und er stellt die Frage: „Wo bleibt der Mensch im Wirtschaftssystem?“ Ganz nah bei der Mindestlohn-Initiative des iGZ ist der CDU-Politiker, wenn er darauf hinweist, dass sich die Löhne nicht beliebig und ungesteuert nach unten entwickeln dürfen: „Der Flächentarifvertrag konzentriert den Wettbewerb, der notwendig ist, auf die Qualität von Produkten und Service und schließt Lohndumping als Wettbewerbskriterium gerade aus. Deswegen ist es auch am gescheitesten gewesen, dass Sie „Die Reform ist eine Reform vor der Reform.“ Z direkt!

9 | Wirtschaftspolitik Das blaue Zeitarbeits-Z auf dem Bergsteigerhelm: Mit einem passenden Geschenk bedankten sich der iGZ-Bundesvorsitzende Volker Homburg (m.) und der Bundesgeschäftsführer Werner Stolz (r.) bei Heiner Geißler für sein Referat. Tarifverträge abgeschlossen haben – die absolut richtige Erkenntnis. Denn wenn Sie Lohndumping als Wettbewerbskriterium zulassen, wo wollen Sie denn da eigentlich aufhören? Wollen Sie bei vier Euro aufhören, oder bei drei, bei zwei? In Weißrussland gibt es Stundenlöhne, die liegen bei 50 Cent – wo ist denn da eigentlich die Grenze?“ QUALIFIZIERTE AUSBILDUNG Zu einer qualifizierten Arbeit gehört jedoch für den langjährigen Bundestagsabgeordneten nicht nur ein anständiger Lohn, sondern auch eine entsprechende Ausbildung. Auch hier darf sich der iGZ mit seinen Ausbildungs- und Berufsbildinitiativen auf dem richtigen Weg wähnen: „In Zukunft werden nur noch die Arbeitsplätze sicher sein, deren Inhaber auch eine qualifizierte Ausbildung haben. Und deshalb halte ich es auch für genau richtig, dass Sie Wert auf gute Ausbildung und Qualifikation der Menschen legen, die Sie vermitteln.“ Mit Blick auf die Gesamtsituation in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt moniert er schwere Versäumnisse: „Unsere Lohndumpingdiskussion, was unsere osteuropäischen Nachbarn betrifft, ist keine Gesetzmäßigkeit irgendwelcher Marktfunktionalismen sondern die Folge wirklich stümperhafter Politik. „Alt, arm, arbeitslos – das sind die neuen Indikatoren für die Verletzung der Menschenwürde.“ Wie kann man eigentlich auf die Idee kommen, dass wir den Polen, den Baltischen Staaten und anderen erlauben, innerhalb der EU Sonderwirtschaftszonen einzurichten, in denen Firmen gar keine Steuern mehr bezahlen müssen? Es sind niederländische, deutsche und französische Firmen, die dann abgeworben werden, weil dort die Kostenbelastung wesentlich geringer ist und die dann dort ihre Firmen aufbauen, mit Unterstützung wieder der Europäischen Union – co-finanziert vom deutschen Steuerzahler. Und die Firma kann die Kosten, die trotzdem entstehen, auch noch von ihrer Steuer absetzen, so dass der arbeitslos gewordene Arbeitnehmer mit seiner Lohnsteuer sein eigenes Elend noch mitfinanziert hat – auf so eine Idee muss man erst einmal kommen. Das alles sind keine Zwangsläufigkeiten, sondern schwere Fehler.“ Z direkt!

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