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Ausgabe 1/2006:

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|6 7| Zeitarbeit und

|6 7| Zeitarbeit und Gesellenwandern Zeitarbeit und Gesellenwandern DIE WALZ: DER WEITE WEG VON JOB ZU JOB Lebenslanges Lernen – Motiv damals wie heute Das Gesellenwandern hat eine lange Tradition. Seit etwa 700 Jahren machen sich Handwerker nach der bestandenen Gesellenprüfung auf die „Walz“. Die Walz ist zwar kein Vorläufer der heutigen, modernen Zeitarbeit. Es gibt jedoch Parallelen. So schätzten die Handwerker an den wechselnden Einsatzorten den Zugewinn an betrieblicher wie sozialer Erfahrung und Kompetenz damals ebenso wie dies ihre Nachfahren heute tun. Z direkt! Die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Gesellschaft. Sozialer Frieden und die positive Fortentwikklung unserer Gesellschaft und ihrer bindenden Kräfte sind unmittelbar abhängig von einem möglichst hohen Grad von Beschäftigung und von einer langfristigen Prosperität unseres Wirtschaftsystems. Die materielle Basis durch Erwerbsarbeit macht somit einen wesentlichen Teil der Zukunftsfähigkeit unseres Landes aus. Diese Herausforderungen können wir meistern, wenn alle Beteiligten im Wirtschaftsprozess partnerschaftlich, engagiert und verantwortungsbewusst ihren Beitrag dazu leisten. Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erfordern immer eine Anpassung der Arbeitsprozesse und Lebenssituationen. Sie human zu gestalten und an den Bedürfnissen der Menschen auszurichten ist dabei die eigentliche Herausforderung. Die Bewältigung von neuen Herausforderungen ist demnach keine neue Erfahrung für die Gesellschaft. Werfen wir einen Blick auf die Situation, wie sie sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts darstellte. Experten sprechen im Rückblick auf jene Zeit von einer „Entpersönlichung der Beziehungen in der Arbeitswelt“, die bedingt ist durch die Durchsetzung einer kapitalistischen Wirtschaftsgesinnung; Profitstreben war der einzig entscheidende Faktor. Es war bereits damals die Rede von mehr Mobilität und Pluralität in der Gesellschaft, von technischen Neuerungen, die das Leben der Menschen grundlegend veränderten, sowie von einem hemmungslosen Konkurrenzkampf, in dessen Folge viele Betriebe nur kümmerlich existieren konnten oder ganz auf der Strecke blieben. Für die Beschäftigten in diesen Betrieben bedeutete dies zumeist einen gesellschaftlichen Abstieg. Die gesellschaftliche Erkaltung zeigte sich damals auch im schleichenden Abschied von Handwerkstraditionen: In dieser Zeit gehörten die Handwerksgesellen oft nicht mehr wie selbstverständlich zum Haushalt des Meisters, denn auch viele Meister sahen in den Gesellen nunmehr die bezahlte Arbeitskraft, um deren persönliche Situation sie sich nicht mehr kümmern mussten. Hier setzte die katholische Kirche und insbesondere Adolph Kolping mit seinen Gesellenvereinen an. Die bald nach ihm benannten Kolpingsfamilien boten Wandergesellen in den Kolping- oder Gesellenhäusern nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch eine familiäre Heimstatt. Die Walz war damals für das Gros der Handwerker die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen und die eigene Lebensgrundlage zu sichern. Die Handwerker waren damals sozial völlig ungeschützt. Die Walz – quasi der weite Weg von Job zu Job – war im buchstäblichen Sinne der einzige „Weg zum Überleben“, wenn die Handwerker in ihrem Beruf den Lebensunterhalt verdienen wollten. Das Prinzip „Arbeiten, wo auch Arbeit ist“ beschreibt die Parallele zwischen Walz und heutiger Zeitarbeit. Dennoch gibt es erhebliche Unterschiede, so dass die heutige Zeitarbeit sich nicht als moderne Form der Walz charakterisieren kann und auch nicht darf. Zunächst der gravierende Unterschied: heutige Zeitarbeitnehmer haben einen Arbeitgeber, egal in wie vielen Arbeitsstätten und Firmen sie faktisch auch beschäftigt sind. Das unterscheidet Zeitarbeitnehmer elementar von Handwerkern der Walz. Daran knüpfen sich weitere Grundbedingungen zur sozialen Sicherung von Zeitarbeitnehmern. Mit der Anwendung von Tarifverträgen hat die Zeitarbeitsbranche einen Schritt getan. Allerdings kann es dabei alleine nicht bleiben. Natürlich müssen sich Branchenverbände auch mit der Frage der schwieriger aufzubauenden sozialen Kontakte am Arbeitsplatz beschäftigen. Ein nur befristet eingesetzter Mitarbeiter wird in „seinem“ Betrieb nur sehr eingeschränkt Freund- oder Bekanntschaften knüpfen können, zumal es häufig Vorbehalte gegenüber Zeitarbeitnehmern gibt. Das „Gemeinschaftsgefühl“ im Betrieb und die Wechselbeziehung von Identität mit dem Betrieb durch den Zeitarbeitnehmer einerseits und die Verantwortung eines Betriebes auch gegenüber einem „Leiharbeiter“ andererseits muss verstärkt werden. Die Walz Karl Schiewerling MdB Der Autor ist Vorsitzender des Kolping-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen und CDU-Bundestagsabgeordneter. Er ist Mitglied im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales. Als Diözesansekretär und Leiter des Kolpingbildungswerkes in Coesfeld/Westfalen war Schiewerling maßgeblich für die Entwicklung des Schwerpunktthemas „Entschieden für Familie“ verantwortlich. Weitere Informationen unter: http://www.schiewerling.de Es gibt allerdings auch sehr enge Parallelen von Walz und Zeitarbeit: Spricht man heute schlagwortartig vom „lebenslangen Lernen“, so ist dieser Ansatz zwar richtig, aber nicht unbedingt neu. Schon früher wurde die Walz als besondere Form der „Weiterbildung“ verstanden: Qualifizierung durch differenzierte Erfahrungen sowie das Lernen in und von Betrieben, die z.B. bereits neue Techniken oder Verfahrenabläufe eingeführt haben. All das gab es bereits zu Zeiten der Walz, wo mit der Arbeit in bestimmten Häusern auch die berufliche Reputation der einzelnen Handwerker größer wurde. Und auch heute gibt es immer mehr Arbeitnehmer, die das Instrument der Zeitarbeit dazu nutzen, Erfahrungen zu sammeln und Kontakte zu knüpfen. Wie sonst könnte man in seiner Branche verschiedene Unternehmensgrößen, -ansätze und Arbeitsweisen unter Bezahlung kennen lernen? Unsere Bundeskanzlerin sagt:„Sozial ist, was Arbeit schafft!“ Die tarifierte Zeitarbeit ist für mich vor diesem Hintergrund eines von mehreren Instrumenten im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit. Zeitarbeit hilft Arbeitgebern und Unternehmen bei der notwendigen Flexibilisierung ihrer Betriebe auf einem immer flexibleren (Welt-) Markt; den Arbeitnehmern ermöglicht Zeitarbeit neben der Chance zum Wiedereinstig in den ersten Arbeitsmarkt auch eine Weiterbildungsoption. Verstehen wir Zeitarbeit also nicht nur als Sprungbrett für ansonsten auf dem Arbeitsmarkt benachteiligte Gruppen, sondern auch als einen Beitrag zum lebenslangen Lernen. Dies kann gelingen, wenn gerade die Branche selbst – und hier bieten sich die Arbeitgeberverbände besonders an – insbesondere die soziale Verantwortung gegenüber den Menschen in Arbeit nicht aus den Augen verliert. Das Gesellenwandern hat eine lange Tradition, die laut Brockhaus, bis in das 14. Jahrhundert zurückreicht. Was sich zunächst als Gesellentradition forttrug, wurde im 16. Jahrhundert als „Wanderpflicht“ zur Voraussetzung für die spätere Zulassung als Handwerksmeister. Die Gesellen mussten nach ihrer Gesellenprüfung zur Weiterbildung in verschiedenen Betrieben, sowohl bei ortsansässigen wie auch bei ortsfremden Meistern, für eine bestimmte Zeit ihren Dienst tun. Die hierfür notwendige Wanderung wurde von den Zünften genau vorgeschrieben, unter anderem gab es genaue Regeln, wohin ein Handwerksgeselle wandern konnte. So zogen traditionell etwa fränkische Handwerker nach Österreich oder Gesellen aus Ostseestädten nach Schweden. Gesellen, die auf der Walz waren, fanden in zunfteigenen Herbergen Verpflegung und Unterkunft und bekamen bisweilen auch Geld, wenn sie den geheimen Zunftgruß kannten, der ihnen von ihrem Meister anvertraut worden war. Nach dem Bedeutungsverlust der Zünfte waren es die von Adolph Kolping gegründeten Gesellenvereine, die wandernden Gesellen Heimstatt und familiäre Unterkunft bieten sollten. Z direkt!

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